Freitag, 6. Juni 2014

SPANIEN: Was nicht über die Abdankung des Königs gesagt wird

Vincenç Navarro ist ein überzeugter Sozialdemokrat, der zwar die aktuelle Lage recht gut einschätzt, aber natürlich nicht über seinen Schatten springen kann. Und zwar die panische Angst der Sozialdemokratie vor einer Revolution. Deswegen wollen sie unter allen Umständen die Demokratie erhalten. Wo denn, lieber Herr Navarro, hat es denn diese "wahre Demokratie", von der Sie träumen, jemals gegeben? Dort, wo es so etwas Ähnliches wie eine Demokratie gab, genügte ein Napoleon oder gar nur ein Bürger - König, um sie beiseitezufegen und in Weimar genügte ein dahergelaufener Bursche aus Österreich, um sie hinwegzufegen. Navarro hat nichts gegen das kapitalistische System, folglich sind seine Empfehlungen rein oberflächlicher Art. Kapitalismus trägt den Faschismus inhärent wie ein Krebsgeschwür mit sich. Und das lernen die Sozis nie und nimmer.


SPANIEN: Was nicht über die Abdankung des Königs gesagt wird
Vincenç Navarro

5. Juni 2014

aus dem Spanischen: Einar Schlereth


Dieser Artikel zeigt, dass die Abdankung des Königs viel mehr bedeutet als nur die Abdankung des Königs. Er erkärt ihre Ursachen, die das Ziel haben, nicht nur die Popularität und Legitimität der Monarchie zurückzugewinnen, sondern auch die Struktur der Macht, die bei der ersten Transición [so wird der Übergang von der Franco-Diktatur zur sehr begrenzten Demokratie + Monarchie bezeichnet. D. Ü.] herausgebildet wurde.

Juan Carlos
Die Abdankung des Monarchen, der seinen Sohn Felipe zum  Nachfolger in der Position des Staatschefs ernannte, hat eine ganze Serie von vorhersehbaren Ereignissen verursacht.

Darunter als sichtbarste und wichtigste die einhellige Antwort des spanischen Establishments, wodurch die Verknüpfung der Mächte angezeigt werden, die die finanziellen und ökonomischen Sektoren des Landes beherrschen, die Politiker, die den Staat regieren und die Ideologen und Medienleute, die die Werte, die das Establishment aufrechterhalten, propagieren, angefangen von der Kirche bis zu den Informations- und Überredungsmedien.
Dieses Establishment ist en bloc in Bewegung geraten, um seine Dankbarkeit der Monarchie zu erweisen, die uns die Demokratie brachte vermittels der Transición, die von ihm als modellhaft definiert wird; hinzugefügt wird ein Loblied, ebenfalls einstimmig, auf den künftigen König von Spanien, Felipe VI, gesungen, den es als
Felipe VI
 die perfekte Figur ansieht, um die von ihnen als notwendig angesehenen Veränderungen durchzuführen zur Erhaltung der Macht des Establishments. Im Widerspruch zum offiziellen Diskurs - dem zufolge der König nur eine symbolische Figur ist - bittet diese Machtstruktur den neuen König, dass er die neuen Veränderungen leite, die das Land (d. h. ihre Sonder-Interessen) benötigt, wie es der König, der jetzt abdankt, während der Transición machte.

Die Titelseite der wichtigsten Zeitung Spaniens, El País, fordert dies in ihrem Titel "El Rey abdica para impulsar las reformas que pide el país” (Der König dankt ab, um die Reformen anzustoßen, die das Land fordert), und fügt hinzu, falls jemand das nicht richtig interpretieren sollte, dass der Kronprinz von Asturias die notwendige Reife habe, um diese Verantwortung zu übernehmen. El País, die heute von einer deutlich rechten Person geleitet wird (siehe meinen Artikel "El sesgo profundamente derechista de Antonio Caño, el nuevo director de El País", Público, 24.02.14), drückt sich im Namen des Establishments immer klarer und eindeutiger aus.

Er stellt klar, dass das Establishment niemals den König bloß als eine symbolische Figur ansah, sondern als Garant seiner Macht.

Die vorhersehbare Einstimmigkeit

Die nicht existierende ideologische Vielfalt der großen spanischen Informationsmedien spiegelt sich in ihrer einstimmigen Antwort auf die Abdankung, die sich nur im Grad der Unterwürfigkeit unterscheidet, mit der ihre Bewunderung für den Monarchen und die Begeisterung für den Erben ausgedrückt wird. Dieses Verhalten zeigt einmal mehr die enorme Distanz in Spanien zwischen dem Establishment (einschließlich der Medien) und der Bevölkerung. Nach der neuesten Umfrage der CIS (vom April d. J.) ist die Monarchie eine der unpopulärsten Institutionen Spaniens. Auf einer Skala von 0-10 wird sie mit 3.7 bewertet.

Es muss unterstrichen werden, dass diese Bewertung zustandekommt, trotz der praktisch einstimmigen Unterstützung der großen Medien für die Monarchie. Diese Distanz erscheint auch deutlich in der Abstimmung im Parlament, wo nicht weniger als 90 % der Abgeordneten zu Gunsten der Übergabe der Macht des Königs Juan Carlos an Felipe stimmten. Was die Umfragen anzeigen, ist, dass der Prozentsatz der Menschen, die für eine Fortsetzung der Monarchie sind, viel geringer ist als dieser Prozentsatz, und noch geringer bei der Jugend. Dies ist ein weiterer Indikator unter vielen anderen für die enorme Distanz zwischen den Cortes und der Meinung der Mehrheit der Bürger in diesem Lande.

Der Grund der geringen Zustimmung des Volkes für die Monarchie
Es hat viele Gründe für diese Abnahme gegeben, die allmählich kam, aber deutlicher wurde dadurch, dass das Establishment und sein Staat auch an Unterstützung verloren (und an Legitimität, da vielen der politischen Maßnahmen, die dem Volk durch den Staat auferlegt werden, ein Mandat des Volkes fehlt, z. B. bei den Gehaltskürzungen). Der bekannte Slogan der 15 M Bewegung "Sie repräsentieren nicht uns" wird weithin von der großen Mehrheit der Bevölkerung als korrekt angesehen.

Mammut-Demo in Madrid (Reuters)
Die Monarchie verliert an Popularität wie alle Institutionen des spanischen Establishments, das sich dieser Situation voll bewusst ist und höchst besorgt ist. Niemals zuvor in der post-diktatorischen Periode hat es eine soziale und politische Agitation gegeben, die eine so tiefe allgemeine Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte. Und es sind erst ein paar Wochen her, dass es in Madrid eine der größten Demonstrationen gab, die die Stadt je gesehen hat (laut verlässlichen ausländischen Beobachtern betrug die Menge zwischen 1 1/2 und 2 Millionen Menschen), mit Leuten, die aus ganz Spanien kamen, um gegen die staatlich aufgezungene Politik zu protestieren, die kein Mandat des Volkes hat, und ihre Legitimität in Frage stellten. Und es blieb vom Establishment nicht unbemerkt, dass die am meisten geschwungene Fahne die republikanische war, die sich in ein Symbol Spaniens verwandelte, das man als Alternative zum bestehenden wünscht.

Warum jetzt die Abdankung?


Die Abdankung ist ein Versuch, den Sturz der Popularität der Monarchie und mit ihr des Establishments umzukehren. Sie reflektiert die enorme Besorgnis um die Haltbarkeit des politischen Systems, das durch die maßlose Transición errichtet wurde und verwirklicht wurde unter der starken Herrschaft der konservativen Kräfte, die den Staat kontrollierten und noch kontrollieren. Sie erklärt die ständige Beschwörung der spanischen Verfassung, Carta Magna genannt (die von diesen Kräften bei ihrer Ausarbeitung beherrscht und protegiert wurde), als Quelle jedweder Legitimität, präsentiert als Dokument, das geschaffen wurde zwischen jenen, die den Bürgerkrieg gewannen (und alle Macht innehatten) und jenen, die ihn verloren (die aus dem Untergrund kommen konnten) und in letzter Instanz vom Verfassungsgericht interpretiert wird, ebenfalls von den konservatierten Kräften beherrscht. Daher die ständige Referenz auf die Verfassung als Richtschnur, die definiert, was in diesem Establishment akzeptabel ist und was nicht.

Außer dem Klassenbewusstsein gibt es seitens des Establishments den Zwang, die Popularität der Monarchie vermittels der Abdankung des Königs wiederzugewinnen (und damit auch die eigene) und zwar dringendst. Deswegen die Eile.

Und ein Faktor, der diese Dringlichkeit erklärt, war die Erkenntnis, dass das Zweiparteiensystem, das in der Stabilität des politischen Systems eine Schlüsselrolle hatte, Risse bekommt, und das obwohl das Wahlgesetz (kaum proportional, was dem Zweiparteiensystem nutzt) noch gültig ist. Das Resultat, das es bei den Europäischen Wahlen gab, war vorhersehbar. Es bedeutete, dass etwas getan werden muss und zwar schnell, da eine Allianz der Parteien links von der PSOE [der sogenannten sozialdemokratischen Partei. D. Ü.] und eine mögliche Rebellion der Basis der Parteien gegen ihre herrschenden Eliten könnten den institutionellen Konsens im Parlament unmöglich machen und einen Wechsel beim Posten des Staatschefs erschweren.

Daher die Dringlichkeit, dass alles möglichst schnell vom Stapel läuft. Außerdem ist sich das Establishment voll bewusst, dass irgendeine Hinauszögerung des Prozesses des Übergangs von Juan Carlos auf Felipe VI eine Mobilisierung des Volkes ermöglichen könnte, von der die Frage aufgeworfen würde, wieso das spanische Volk niemals die Möglichkeit hatte, ob es von einem monarchischen oder republikanischen System beherrscht werden möchte. Der im Referendum zum Ausdruck gebrachte Wille umfasste viele andere Momente außer dieser Frage, und zwar in einem Moment, in dem die Alternativen waren: entweder Fortführung der Diktatur oder die Errichtung einer sehr unvollständigen Demokratie, geführt von einem wenig repräsentativen Staat und einer äußerst dünnen sozialen Dimension, weil der Pakt, der zur Errichtung des neuen Systems führte, auf einem enormen Ungleichgewicht der Kräfte basierte.

Das Verlangen nach Demokratie
Die deutliche Ablehnung der Mehrheit der Spanier an den demokratischen Institutionen basiert nicht auf einer Opposition gegen die Demokratie (boshafterweise wird die Opposition gegen diesen Staat als anti-System-Mobilisierung definiert), sondern auf der enormen Verbiegung der Demokratie durch einen Teil der Politik- und Funktionärs-Klasse, die den Staat kontrolliert. Es ist eine Ablehnung, die mehr, nicht weniger Demokratie verlangt, einen Bruch mit den Strukturen, Praktiken und Ideologien, die von der Diktatur übernommen wurden und die sich im heutigen Staat fortsetzen, das Resultat einer ungenügenden Transición wegen des extremen Ungleichgewichts. Entgegen der enormen Idealisierung der Transición (zu der die Akademiker und die Medien beigetragen haben) bedeutete jener Prozess keinen Bruch mit dem vorhergehenden Regime. Im Gegenteil, es war eine Einfügung in den alten Staat von demokratischen Elementen (sehr begrenzt durch ein Wahlgesetz, das kaum proportional war, sondern die konservativen Kräfte begünstigte und das Zweiparteiensystem förderte) unter der Herrschaft der Erben der Diktatur. Aber es war kein Bruch oder Säuberung, sondern eine eindeutige Fortführung durch das spanische Establishment unter Leitung des Monarchen.

Ein Kernstück dieser Fortführung war der Führungsapparat der PSOE, dem das Zweiparteiensystem nutzte, und der zu seinem größten Verteidiger wurde. Man muss unterstreichen, dass die PSOE als Partei vom Wahlsystem profitierte, doch weniger als die Partido Popular [die Konservativen. D. Ü.], aber nicht als Projekt, so dass die Strukturen der Finanz- und Wirtschaftsmacht, die während der demokratischen Periode den Staat beherrschen, die Entwicklung des sozialistischen Projektes erschwerten. Es stimmt, dass das enorme soziale Defizit, das von der Diktatur geerbt wurde, geringer wurde (wenn auch nicht verschwand) unter der PSOE-Regierung. Aber sie hatte nicht ausreichend Kraft oder den notwendigen Willen zur Umwandlung, um jenen enormen Einfluss der Finanz- und Wirtschaftsmacht zu verändern, der in Spanien tut, was "möglich" oder "vernünftig" ist. Die öffentlichen sozialen Ausgaben gehören zu den niedrigsten in der EU der fünfzehn.

Heute hat  die Bevölkerung genug und ist wütend auf diesen Staat und die politische Kaste. Das zeigen die Umfragen, dass der Überdruss am größten in der Jugend ist. Die Hoffnung des Establishments ist es, dass ein junger König helfen kann, diese Wut und Ablehnung aufzulösen. Das ist ein verzweifelter Versuch, der natürlich mit einer deutlichen Zunahme an Repression einhergeht.

Angesichts dieser Situation sollten die wahren Demokraten sich mobilisieren, um einen Bruch mit diesem Staat zu fordern, der die Fortführung der diktatorischen Einrichtungen und Personen war, und die Errichtung einer wahren Demokratie mit repräsentativen Elementen, die auf einem authentisch proportionalen System basieren (das jedem Bürger die gleiche Entscheidungsfähigkeit bei der Regierung zugesteht) und Elementen direkter Demokratie, d. h. dass die Bürger die Macht haben zu entscheiden durch Referenden in allen Bereichen des Staates zu Themen wie u. a. ob man eine Monarchie oder Republik möchte. Überflüssig zu sagen, dass sich das Establishment solchen Veränderungen mit Zähnen und Klauen widersetzen wird. Es ist die direkte Fortsetzung der Kräfte, die den Militärcoup 1936 durchführten. Aber wenn sich die demokratischen Kräfte für dieses Ziel vereinigen und die Bedürfnisse der Bürger über ihre Parteiinteressen stellen zusammen mit einer breiten Koalition von sozialen Bewegungen (von Gewerkschaften bis zu Nachbarschafts-Vereinigungen unter vielen anderen), die der Demokratie und den Verteidigern der Souveränität der verschiedenen Völker und Nationen Spaniens verpflichtet sind gegen die falschen "Patrioten", die ergeben den ausländischen Interessen dienten, können sie die Mehrheit der Bevölkerung mobilisieren gegen eine Minderheit, die heute keinerlei Legitimität hat.

Quelle - källa - source

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